Handelsblatt: Virtuelle Agenten auf Vormarsch – Kommt jetzt die KI-Revolution?

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Ana-Maria Banta
Presse Kontakt Ana-Maria Banta 15. November 2024

Salesforce, Cognigy, Github: Zahlreiche Unternehmen kündigen eine neue Generation von KI-Assistenten an. Die sogenannten Agenten übernehmen Aufgaben, die vorher Mitarbeiter erledigt haben.

Luisa BomkeLarissa HolzkiFelix Holtermann

Düsseldorf, Frankfurt, San Francisco. Fünf Mal tutet es, dann meldet sich eine Stimme in der Leitung: „Hallo, hier ist Sophia, die KI-Assistenz von Martin Giesswein. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Sophia nimmt das Anliegen der Reporterin entgegen, fasst noch mal alles zusammen und verabschiedet sich freundlich: „Ich werde Martin alles ausrichten. Einen schönen Tag noch.“

Das Gespräch zwischen der echten Anruferin und der künstlichen Agentin dauert eine Minute und ist vielleicht der Anfang einer Revolution. Denn KI-Agenten wie Sophia haben das Potenzial, Bürojobs und Kommunikation grundlegend zu verändern.

Bisher konnten Sprachroboter oder Bots nur häufig gestellte Fragen beantworten, für die ein Unternehmen Antworten bereits hinterlegt hatte – zum Beispiel nach den Sprechzeiten. Die neue Generation der KI-Assistenten, die häufig als „Agenten“ bezeichnet werden, kann dank der Fortschritte bei Künstlicher Intelligenz (KI) deutlich flexibler agieren. Agentin Sophia zum Beispiel hat Zugriff auf den Kalender von Martin Giesswein und ist in der Lage, direkt einen Termin zu vereinbaren.

Giesswein ist das, was man in der Szene einen „Early Adopter“ nennt: Der Autor und Dozent versucht als Ein-Mann-Unternehmen, so viele Aufgaben wie möglich zu automatisieren. Damit Sophia Anrufe entgegennehmen und beantworten kann, hat er beim Wiener Start-up Fonio eine kurze Anweisung hinterlegt. Darin steht: „Deine Rolle ist KI-Assistentin von Martin Giesswein. Dein Ziel ist es herauszufinden, welche Anliegen der Kunde hat und wie du helfen kannst.“ Auf Nachfrage zu seinem Vortragsangebot soll sie zudem Auskunft darüber geben, zu welchen Themen er Reden halten kann.

Telefon-Agenten wie Sophia sind eine von Dutzenden Varianten von KI-Agenten, die gerade auf den Markt kommen und nicht nur die Arbeit von Selbstständigen, sondern auch die Prozesse in Großunternehmen vollständig verändern können.

KI-Agenten sind der Tech-Trend des Jahres 2025

So hat das Softwareunternehmen Salesforce KI-Agenten für Vertrieb und Marketing entwickelt. Die Agenten des deutschen Start-ups Celonis können Prozesse automatisch optimieren, und die Agenten der KI-Firma Anthropic können Aufgaben auf dem Computer der Nutzer ausführen. Und wie der Nachrichtendienst Bloomberg am Mittwoch berichtete, soll auch der KI-Pionier OpenAI im Januar eigene Agenten vorstellen.

"Der gordische Knoten der Produktivität ist endlich gelöst." - Alexander Wallner, Deutschlandchef von Salesforce

Laut Analysehaus Gartner sind KI-Agenten der wichtigste Technologietrend 2025. Die Analysten gehen davon aus, dass bis 2028 15 Prozent der täglichen Arbeitsentscheidungen von KI-Agenten autonom getroffen werden. Salesforce-Deutschlandchef Alexander Wallner stellt in Aussicht, dass Agenten die Wertschöpfung bei seinen Kunden um knapp 40 Prozent steigern könnten. Er sagt: „Der gordische Knoten der Produktivität ist endlich gelöst.“

Das Handelsblatt hat mit Managern und Entwicklern gesprochen und Beispiele aus der Praxis herausgearbeitet, die zeigen, warum KI-Agenten den von KI erhofften Produktivitätsboost bringen könnten und wo sie als Erstes eingesetzt werden.

Was macht KI-Agenten so besonders? Beispiel Cognigy

„Wir erleben jetzt eine revolutionäre Zeit“, sagt Philipp Heltewig. Der CEO der KI-Firma Cognigy sitzt in seinem Düsseldorfer Büro am Medienhafen. Über einen Beamer demonstriert er, wie seine Kunden KI-Agenten selbst erstellen können.

Bereits seit 2016 entwickelt er mit seinen Co-Gründern Benjamin Mayr und Sascha Poggemann KI-Lösungen für den Kundenservice von Unternehmen wie Lufthansa, Eon und der Allianz. Mit den neuesten Fortschritten bei Künstlicher Intelligenz eröffnen sich ganz neue Einsatzmöglichkeiten.

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Das Gründerteam von Cognigy: Benjamin Mayr, Philipp Heltewig, Sascha Poggemann (v.l.)

„Die Agenten ändern komplett, wie wir KI zukünftig einsetzen“, ist Heltewig überzeugt. „Früher war die KI-Fähigkeit darauf beschränkt, Befehle zu befolgen." Heute gebe man dem Agenten nur noch das Wissen und verschiedene Werkzeuge an die Hand, und der KI-Agent entscheide dann selbstständig, wie er das Kundenproblem löse.

Und sie haben einen Vorteil gegenüber Mitarbeitern: Die Zahl der virtuellen Agenten lässt sich beliebig und kostengünstig steigern. Wie bei echten Mitarbeitern ist es dabei sinnvoll, verschiedene Spezialisten einzusetzen, die sich gegenseitig kontrollieren.

In seiner Vorführung baut Heltewig für eine Fluggesellschaft zunächst die Kundenservice-Agentin Lisa. Er weist die KI an, hilfsbereit und sympathisch mit den Kunden zu agieren. Er lädt Dateien wie Flugpläne und Informationen hoch, auf die sie bei Bedarf zugreifen soll. Anschließend verknüpft er die Agentin noch mit allen Softwareprogrammen, die sie braucht, um ihre Aufgaben auszuführen.

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Cognigy-Agenten: Kunden können ihre eigenen KI-Agenten erstellen.

Lisa kann jetzt eigenständig Passagierdaten ändern, per E-Mail auf Beschwerden reagieren und Auskünfte über Verspätungen geben – und das in jeder Sprache. Für weitere Spezialaufgaben fragt sie ihre virtuellen Kollegen an: Wenn es Fragen zu Rechnungen gibt, kommuniziert sie dazu mit dem Agenten Jacob, der auf Abrechnungen spezialisiert ist. Geht es um Umbuchungen, konsultiert sie die Agentin Naomi. Ziel von Cognigy ist es, möglichst viele Probleme der Kunden ohne Mitarbeitereinsatz zu lösen.

Menschen sollen nur noch zurate gezogen werden, wenn die KI-Agenten an ihre Grenzen stoßen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn es um Rückerstattungen geht. Die müssen in Deutschland aus rechtlichen Gründen Menschen ausführen.

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KI-Agenten: Die Agenten haben eigene „Personas“ und sind auf bestimmte Aufgaben spezialisiert.

Die Firma Cognigy will sich von Anbietern dadurch abheben, dass sie sehr viele Wahlmöglichkeiten bietet: Wie bei einem Baukasten lassen sich KI-Anbieter, Schnittstellen zu Programmen, Verknüpfungen mit Echtzeitinformationen und Filter auswählen. Ein Beispiel ist ein Filter, der verhindert, dass sensible Kundendaten wie Kreditkartennummern von der KI verarbeitet und gespeichert werden.

Beispiel Salesforce: Bei Brenntag sollen KI-Agenten Bestellungen managen

Großes Potenzial haben KI-Agenten aber nicht nur im direkten Kundenkontakt, sondern auch als Unterstützung für Mitarbeiter. So testet der Chemikalienhändler Brenntag derzeit Agenten von Salesforce, um Kundenanfragen und Bestellungen schneller und fachgerechter zu beantworten. Bei E-Mails erstellen sie beispielsweise Zusammenfassungen der bisherigen Kundeninteraktion und helfen, Produktinformationen zu recherchieren.

Brenntag-Technologiechefin Michelle Wu sagt: „Die Chemiebranche ist sehr fragmentiert und komplex.“ Verschiedene KI-Agenten unterstützten mit verlässlichem Fachwissen die Mitarbeiter im Vertrieb und im Kundenservice. „Dadurch steigern wir die Reaktionszeit und Qualität unserer Antworten an unsere Kunden, die von Brenntag Genauigkeit und fundiertes Wissen erwarten.“

Brenntag: Der Chemikalienhändler will KI-Agenten in 30 Märkten einsetzen. Foto: Brenntag AG

Ab 2025 will Brenntag die Agenten von Salesforce im regulären Betrieb einsetzen. Die Managerin erhofft sich, dass das Unternehmen dadurch bis zu ein Viertel der Bearbeitungszeit pro Anfrage spart.

Für Salesforce ist die Entwicklung der Agenten die „wichtigste Innovation“ aller Zeiten. Im Handelsblatt-Gespräch sprach Deutschlandchef Wallner von einer „Jahrhunderttechnologie“: Unsere Agenten können sogar selbst entscheiden, wann sie weitere Agenten erstellen müssen, um Aufgaben zu lösen.“ Derzeit würden Salesforce-Agenten in 15 Industrien eingesetzt.

Beispiel Github: KI-Agenten programmieren Computerspiele

Eine Industrie, von der sich die Agenten-Anbieter besonders viel versprechen, ist die Softwareindustrie. Github-Chef Thomas Dohmke zeigte auf der Jahreskonferenz seiner Programmierplattform in San Francisco, wozu seine Agenten fähig sind. Auf der Bühne programmierte er mit dem Github-Copiloten ein neues Videospiel, indem er dem Agenten lediglich in einfachen Worten beschrieb, wie es aussehen soll und welche Spielregeln es gibt.

Nach den Worten Dohmkes ist das erst der Anfang. Dem Handelsblatt sagte er, dass die Agenten heute schon einen ganzen Programmcode schreiben könnten. Das mache KI zu einer Art Lego-Stein der IT-Welt, mit dem auch völlig unerfahrene Benutzer neue Produkte, Apps oder Websites bauen könnten.

Github-Chef Thomas Dohmke: Websites im Lego-Prinzip. Foto: GitHub

Auch bestehende Programmcodes könnten auf diese Weise verbessert werden. Neue Mitarbeiter eines Unternehmens könnten so schneller durchstarten und die existierende Code-Basis überblicken.

Der Mensch wird nach Ansicht Dohmkes aber auch künftig gebraucht: Er könne seine Arbeit verbessern – etwa durch einen Brainstorming-Agenten, der bei kreativen Aufgaben helfe.

Beispiel LinkedIn: KI-Agenten suchen Personal

Das Karrierenetzwerk LinkedIn hat einen Recruiting-Agenten herausgebracht, der Personalvermittler, Headhunter und Personalabteilungen unterstützt. Der KI-Agent schlägt etwa geeignete Kandidaten für eine Stellenausschreibung vor. Entscheidet sich der Personalvermittler, ein Gespräch mit dem Kandidaten beginnen zu wollen, übernimmt der Assistent die Terminabstimmung. Auch für Anschlussfragen steht er zur Verfügung.

Organisationsvorstand Daniel Shapero sagt: „KI-Agenten können ganze Aufgabenketten lösen, wenn das von der Person, die das Sagen hat, genehmigt wurde.“ Wichtig sei jedoch: „Menschen haben die Kontrolle.“ Ein Agent könne zum Beispiel ein Meeting eigenständig planen, habe also „eine gewisse Entscheidungsfreiheit“. Aber: „Die Bewertung eines Kandidaten, die Entscheidung, wer weiterkommt, ist Sache des Recruiters.“

"Menschen haben die Kontrolle" - Daniel Shapero, Organisationsvorstand des Berufsnetzwerks LinkedIn

Der Tech-Riese Amazon etwa hatte hier schlechte Erfahrungen gemacht: Eine KI zur Kandidatenauswahl hatte nichtmännliche und nichtweiße Kandidaten aussortiert. Laut Shapero kann das mit den neuen Agenten nicht mehr passieren. LinkedIn arbeite mit Nachdruck daran, dass die Agenten zum Beispiel keine menschlichen Vorurteile übernähmen. Dabei habe man Erfolg: „Wir haben festgestellt, dass wir durch den Einsatz von KI-Agenten einen ausgewogeneren Bewerberpool erhalten.“

Ein bekanntes Phänomen ist, dass Frauen sich für eine Stelle oft nicht für geeignet halten, obwohl sie alle Voraussetzungen erfüllen. Hier könne der KI-Agent helfen: Er checke im Vorhinein den Lebenslauf und die Qualifikation und könne Bewerber dann darauf hinweisen, dass sie grundsätzlich alle notwendigen Voraussetzungen erfüllten. Shapero sagt: „Wir haben festgestellt, dass sich mehr Frauen auf Stellen bewerben, wenn der Agent ihnen das Feedback gibt, dass sie qualifiziert sind.“

Aufgrund der Bandbreite, in der KI-Agenten schon heute eingesetzt werden, ist Cognigy-CEO Heltewig überzeugt: „Bald kann man sich nicht mehr vorstellen, wie das Arbeiten ohne KI-Agenten war.“

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